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Französischer oder niederländischer Meister?

(tätig um die Mitte des 15. Jahrhunderts)

a) Die Gottesmutter öffnet das Paradies

b) Die Vertreibung aus dem Paradies
c) Rückseite von a) vielleicht eine Beschneidung Christi?

 

Werkstatt
Frankreich oder südliche Niederlande?

Sachbegriff
Flügelaußenseiten eines ehemaligen Retabels

Entstehungszeitraum/Datierung
um 1450

Bezeichnung/Signatur
ohne

Technik/Material
Mischtechnik auf Eichenholz

Maße
102,5 x 90,5 cm

Inventar-Nummer
Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle, Inv. Nrn. 2234, 2235

Provenienz
1945 erworben durch die GVOM von Stuttgarter Porzellan-Liebhaber und Kunstmäzen Otto Wanner-Brandt (sehr wahrscheinlich Privatbesitz). Otto Wanner-Brandt hat 1947/48 die Porzellanmanufaktur Ludwigsburg neu eröffnet; 1949 übernommen durch die SKK von der GVOM, (GV 599 und 600)

 

Kommentar:
Die beiden auf den ersten Blick merkwürdig fremd wirkenden Bildtafeln schildern nicht nur zwei Ereignisse, sondern verbildlichen gleichzeitig einen typologischen Grundgedanken, der die beiden Paare Eva und Maria bzw. Adam und Christus miteinander verknüpft.
Bei dieser im Mittelalter weit verbreiteten Form der Bibelauslegung, der sogenannten Typologie, wird eine Person oder ein Ereignis aus dem Alten Testament mit einer Person oder einem Ereignis aus dem Neuen Testament im Sinne der Ankündigung (AT) und der Vollendung (NT) in Beziehung gesetzt.
Die enge Zusammengehörigkeit der beiden Tafeln ist unzweideutig: Es handelt sich um die Flügelaußenseiten eines ehemaligen Wandelaltars mit einer flügelübergreifenden Komposition, in deren Zentrum sich der mauerumfriedete Paradiesgarten befindet mit einem mächtigen Turm, genauso kostbar vergoldet wie die beiden Pforten links und rechts, von der die eine in den Garten hinein- die andere hinausführt.
Der linke Teil der Komposition zeigt die geöffnete Paradiesestür, vor der sich die zur Himmelskönigin gekrönte Gottesmutter anschickt, mit ihrem Kind die Pforte zu durchschreiten. Denn sie wird durch die Geburt des Gottessohnes nicht nur zur Pförtnerin des Paradieses, sie ist! die "porta paradisi" , gleichzeitig aber auch die ecclesia (die Kirche) und die neue Eva.
Warum das so ist, erfährt der Betrachter sogleich auf dem rechten Teil der Komposition: Innerhalb der Umfriedung steht ein rosaweiß gewandeter Engel. Mit hoch erhobenem Schwert vertreibt er Adam und Eva aus dem Garten in die irdische Welt, wo die Menschen ihrer alltäglichen Arbeit nachgehen. Durch ihren Sündenfall ist ihnen die Rückkehr in das Paradies verwehrt. Die Pforte ist verschlossen.
Adam wird von Eva fast ganz verdeckt. Eva trägt ein grünes Blätterkleid. Ursprünglich jedoch waren beide nackt. Das Kleid ist eine spätere Zutat, wenn auch vermutlich schon im späten 15. Jahrhundert. Auf der dem Garten zugewandten Seite des Tores stehen auf Säulen die Statuen von Adam und Eva. Ihre nackten Körper erinnern an den Zustand vor dem Sündenfall. Die einen Stab haltende Figur in einer weiten Gewanddraperie in der Nische über der Pforte ist nicht mehr mit Sicherheit zu identifizieren (Gottvater?). Es geht also um die Gegenüberstellung von Sündenfall und Erlösung – hier jedoch in einer sehr seltenen und ungewöhnlichen Form vergegenwärtigt, die gleich mehrere Sinnschichten miteinander vereint.
Die Lokalisierung der beiden Tafeln ist bis heute nicht sicher. Die Vermutung, dass sie aus Nordfrankreich oder aber den südlichen Niederlanden stammen könnten, wird immerhin dadurch gestützt, dass die Szenen auf Eichenholz gemalt sind, eine Holzart, die in diesen Gegenden hauptsächlich Verwendung fand.

Dr. Anna Moraht-Fromm
Kultur- und Bildwissenschaft - Sachverständige

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